Humoreske von H. v. R.
in: „Illustrierte Sonntags-Zeitung” (Mayener Volkszeitung) vom 29.3.1896
In der Universitätsstadt B. studirte ein flotter Bursche aus armer Familie. Flotter Bursche und arme Familie - wie reimt sich das zusammen? Und doch war es so.
Albert Krause war der Sohn eines Schneiders, der sich nach dem Tode seiner Frau zum zweitenmale verheiratet hatte, aber bald seinem ersten Weibe ins Grab gefolgt war. Die Stiefmutter kümmerte sich wenig um den damals elf Jahre zählenden Buben und wollte ihn einem ihr entfernt verwandten Tischlermeister in die Lehre thun, um seiner los zu werden. Da nahm der Ortspfarrer sich des begabten Jungen an und ließ ihn einige Jahre in der Stadt auf seine Kosten studiren, eine Fürsorge, welche der Plegling mit auffallendem Fortschritte lohnte. Von Alberts Mutter hatte nun der Pfarrer öfter vernommen, daß ihr einziger Bruder vor Jahren nach Amerika ausgewandert und seitdem ganz verschollen sei. Des Pfarrers unausgesetzten Nachforschungen und Bemühungen gelang es endlich, denselben ausfindig zu machen. Alberts Onkel lebte wirklich in Amerika und hatte dort ein ziemliches Vermögen erworben. Auf des Pfarrers Andringen kehrte er in seine Heimat zurück, nahm sich des Sohnes seiner Schwester an, ließ ihn weiter studiren und setzte ihn, da er selbst unverehelicht geblieben, testamentarisch zu seinem Universalerben ein.
Diese Umstände waren in der Universitätsstadt wohl bekannt. Mam schätzte den Onkel aus Amerika immerhin auf 50 000 Mark, und daher genoß Albert bei seinen Kameraden großes Ansehen und bei den Geldvereihern ausgedehnten Kredit, um so mehr, als es mit des Onkels Gesundheit sichtlich nicht zum besten bestellt war.
Was Wunder, wenn Albert sehr bald in einen gewissen Leichtsinn verfiel, mit seinen Kommilitonen griße Summen Geldes durchbrachte und sich im bedeutende Schulden stürzte! Besonders war es der schlaue Aaron, der dem Studiosen allezeit bereitwilligst Geld besorgte. Im Laufe von drei Jahren hatte er ihm 12 000 Mark baar vorgeschossen, wofür ihm Krause Schuldscheine im Gesamtbetrage von 36 000 Mark behändigen mußte.
Eben überlegte schenken könne,— war es doch leicht möglich, daß des Onkels Verhältnisse, nach denen er sich übrigens vorsichtigerweise oft und genau umgesehen hatte, nicht gar so glänzend waren, als man sie hinstellte, - da erhielt er plötzlich durch einen Freund, der mit der Beobachtung des guten Onkels durch Aaron betraut war, die telegraphische Mitteilung, daß der „Amerikaner” das Zeitliche gesegnet und laut sofort vorgenommner gerichtlicher Obsignation ein Vermögen von 35 000 Mark in Papieren hinterlassen habe. Weitere Aktiva mit Ausnahme einer höchst bescheidenen Junggesellen-Einrichtung seien nicht vorhanden.
Schleunigst verfügte sich Aaron zu Albert Krause, um diesem sein schmerzliches Bedauern auszudrücken, traf ihn aber nicht zu Hause. Darauf reiste er noch am nämlichen Tage nach R., dem Wohnorte des Erblassers um durch einen dortigen Anwalt die nötigen Schritte zur Erlangung seines Guthabens von dem jungen Erben einleiten zu lassen. Der Anwalt erklärte, daß dies keine Gefahr habe, indem Albert Krause, wie stadtbekannt, der Universalerbe sei, nur müsse noch die förmliche Eröffnung des Testaments und die Erklärung des Erben über den Erbschaftsantritt erfolgen.
Aaron kehrte beruhigt nach Hause zurück und rieb sich vergnügt sie Hände ob des guten Geschäftchens, das er in so kurzer Zeit an dem jungen Manne gemacht. Tags darauf richtete er ein paar höfliche Zeilen an seinen Schuldner und forderte schließlich sein Guthaben von 36 000 Mark im Hinblick auf die bekannte Erbschaft. Der Adressat erwiderte ihm umgehend und ebenso höflich, daß er nicht wisse, womit er eine so enorme Summe bezahlen solle, und was die Erbschaft anbelange, so könne er sich mit Rücksicht auf des Onkels arme entfernte Anverwandte nicht zu deren Antritt entschließen.
Vor Schrecken ließ Aaron des Schreiben aus der Hand fallen und sank halb ohnmächtig in seinen Lehnsessel zurück. Bald jedoch raffte er sich wieder auf und reiste in der nächsten Viertelstunde nach R., um sich bei dem Anwalte Rat zu erholen. Dieser fand die Sache höchst fatal und erklärte, kein gesetzliches Mittel zu kennen, womit man den jungen Krause zur Uebernahme der Erbschaft zwingen könne; es bleibe nichts übrig, als denselben auf gütlichem Wege dazu zu veranlassen.
In großer Verzweiflung daheim angekommen, sucht sich nun der Geängstigte ungesäumt mit dem querköpfigen Erben in gütliches Benehmen zu setzen. Jedoch vergebens. Albert blieb auf seinem Vorsatze stehen und wollte von der ganzen Erbschaft nichts wissen.
Aaron geberdete sich wie wahnsinnig, er bat und beschwor den jungen Krause, er flehte ihn kniefällig an, dem Machlaß zu übernehmen; er erbot sich, tausend, fünftausend, zuletzt sogar zehntausend Mark an seiner Forderung zu streichen, wenn Krause nur endlich einwillige.
Dieser geriet ins Schwanken. Vielleicht fühlte er doch Mitleid mit des Alten Verzweiflung oder gedachte seiner eigenen Lage und der Zukunft, genug: er ließ sich herbei, gegen einen Nachlaß von 20 000 Mark seitens des Gläubigers die Erbschaft anzutreten.
Aaron willigte schweren Herzens ein; was wollte er auch machen? Bekam er doch sein wirklich hergeliehenes Geld nebst christlichen Zinsen. Die Wucherzinsen freilich mußte er verschmerzen und das Auslachen obendrein einstecken.
Albert erhob seine Erbschaft, vollendete seine Studien und wude ein tüchtiger Advokat. Die Geschichte mit dem Aaron war allbekannt geworden, und - merkwürdig genug! - die Juden des Ortes bedienten sich fortan keines andern Anwaltes als des Herrn Krause, da sie ihn als den Ueberlister des pfiffigen Aaron gewaltig respektirten.
— — —